über den wert unverbauter alpiner landschaften

Natürlich wollen wir keinen Stromausfall, und können uns das in unserer hochentwickelten Welt auch kaum noch leisten. Mit der zunehmenden Technologisierung und Globalisierung unseres Alltags sind wir in einem Masse von Elektrizität abhängig geworden, dass es ohne „nicht mehr geht“. Wieviele elektronischen Geräte „erleichtern“ uns das tägliche Leben und Arbeiten heute, und in welche Bereiche spielt schon nur das Mobiltelefon überall hinein? Und es werden immer mehr, ausgeklügeltere Systeme, die uns Arbeit abnehmen, unseren Alltag prägen – alle abhängig von einer zuverlässigen Versorgung mit Strom.
Eine vorzügliche Ausgangslage also, um mit der Angst vor Stromausfall zu spielen.

Wohl kann niemand das tatsächliche Risiko eines Blackouts diesen Winter wirklich einschätzen, so divers und vielschichtig die Berechnungen dazu sein müssten, so ungewiss viele der Faktoren, die in dieses Szenario hineinspielen. Doch es stimmt mich skeptisch, wie sehr in den (politischen) Diskussionen der vergangenen Monate zu diesem Thema die Angst im Vordergrund steht.
Ich habe gelernt, kritisch zu sein, wenn Angstmache im Spiel ist. Eher meinem Bauchgefühl zu vertrauen, als den meinungsbildenden Mainstream-Medien. Zum einen werden diese mitfinanziert durch meist einseitige Interessensvertreter; und zum anderen weiss ich aus persönlicher Erfahrung, wie eine Mitteilungen je nach Kommunikationsziel unterschiedlich gestaltet und formuliert werden kann.
Welche Interessen bestimmen den Diskurs, die Zahlen, die Berechnungen?


Mein Bauchgefühl sagt mir, es kann doch nicht sein, dass Klimaschutz (CO2 neutrale Energieversorgung) und Schutz der alpinen Wildnis nicht miteinander vereinbar sein sollen. Es kann doch nicht sein, dass im Namen der Energiewende solch immense ökologische Schäden, wie sie durch neue grosse Wasserkraftwerke entstehen würden, gerechtfertigt sind. Dass noch mehr der wenigen heute noch freifliessenden, rauschenden Wildbäche gefasst, unterirdisch turbiniert, und oberirdisch zu kümmerlichen Restwasserbächlein reduziert werden sollen.
Ich bin überzeugt, dass eine nachhaltige Energieversorgung den Schutz noch unberührter alpiner Naturräume und derer vielfältigen Lebensformen nicht gefährden muss.

Eines der aktuell diskutierten Vorhaben zur Sicherung einer langfristigen „klimaneutralen Energieversorgung“ macht mir speziell Sorgen:
Im Triftgebiet des Berner Oberlands soll ein neuer Wasserkraft-Staudamm errichtet werden.
Ich wollte mir mein eigenes Bild machen. Zu meinem Geburtstag schenkte ich mir eine Nacht im Bivak, hoch oben in diesem beeindruckenden Gebiet zwischen dem Susten- und Grimselpass. Wunderschönste Bedingungen erwarteten mich: Eine leuchtende Herbstsonne, klarblauer Himmel, die Landschaft in warme, goldene Herbstfarben gekleidet.


Hier oben soll also eines der vom Bundesrat zusammen mit der Energiebranche und einigen Umweltverbänden als prioritär identifizierten neuen Wasserkraftprojekte zu liegen kommen. Diese 15 prioritären Projekte wurden ausgewählt, weil sie energetisch am meistversprechendsten sind, um die Versorgung mit klimaneutraler Energie bis im Jahr 2050 sicherzustellen, bei gleichzeitig möglichst geringen Auswirkungen auf die Biodiversität und Landschaft.
Zugegeben, dies mag ein ideales Gebiet sein zur Errichtung eines neuen Staudammes: Ein grosser Talkessel, der in eine enge Schlucht mündet, gespiesen von einem grossen – zwar – sich rasch zurückziehenden Gletscher.
Doch zugleich liegt hier einer der wenigen heute noch vorhandenen, völlig unversehrten alpinen Bergräume in den Zentralalpen. Und ich frage mich, wie wurden diese „geringen Auswirkungen auf die Biodiversität und Landschaft“ hergeleitet? Wie kann es überhaupt sein, dass die ökologischen Auswirkungen eines solchen Milliarden-Infrastrukturvorhabens in einem wilden alpinen Raum als „gering“ klassiert werden?


Heute ist dieses Gebiet – mit Ausnahme einer Hängebrücke und einer kleinen Berghütte – noch vollständig unberührt von menschlichen Einflüssen. Ein ursprünglicher Raum alpiner Wildnis, Rückzugsraum für Tiere, Lebensraum für Pflanzen. Gemäss meiner Landeskarte aus dem Jahr 2002 bedeckte den Talkessel – in dem heute der milchige Triftsee liegt – vor 20 Jahren noch der Gletscher, dessen Zunge heute hoch oben an der Gebirgskante hängt.
Die sogenannten Gletschervorfelder, welche sich bilden wenn sich Gletscher zurückziehen, gehören zu den wertvollsten Ökosystemen überhaupt.
Denn hier beginnt die Natur sich neu zu bilden. Eine hohe Dynamik an von Wasser, Eis, Schnee und Trockenheit gestalteten Prozessen, inmitten eines vielfältigen Mosaiks an Lebensräumen, ermöglicht die Entstehung vielschichtiger natürlicher Pionierprozesse mit hoher biologischer Vielfalt. Doch – weil sie eben noch so jung sind – sind diese neuen Gletschervorfelder noch in keinem Bundesinventar als schützenswert aufgenommen worden – die letzte Aktualisierung dieses Inventars liegt über 20 Jahre zurück.
Und darin müssten sie aufgenommen sein, um gemäss Gesetz den nötigen „ökologisch wertvollen“ Status zu erhalten.


Was steht auf dem Spiel?
Der Schaden beginnt bereits bei den Bauarbeiten: Stell Dir vor, wie in diesem fragilen engen Bergtal ein Betonstaudamm von 170 Meter Höhe errichtet werden soll – da wo heute nur ein kleiner unwegsamer Bergweg hinführt. Tausende von Heliflügen werden nötig sein, neue Erschliessungstrassees oder Seilbahnen, Unmengen an Beton und Stahl, Lärm, Staub, Verwüstung. Eine unvorstellbare Zerstörung in diesem stillen, abgeschiedenen Lebensraum.
Vieles wird unwiederbringlich verloren gehen.


Eine Bekannte hat mir dazu gesagt: Doch dieser Staudamm – der stört doch da oben nicht? Vom Tal her wird der ja nicht ersichtlich sein?
Ist das ein Argument??
Stehen denn wir Menschen und unsere Konsumbedürfnisse derart an oberster Stelle, dass es «nicht stört, wenn wir es da oben nicht sehen können»?
Wollen wir diesen einmalig wilden Gebirgsraum wirklich opfern?

Mein Bauchgefühl sagt mir: Es muss Alternativen – andere Lösungen geben.
Da sind: Effizienz – sowohl bei der Produktionseffizienz als auch der Verbrauchseffizienz. Da sind: bestehende Anlagen und Gebiete die bereits verbaut sind optimaler nutzen. Da ist die Frage: Wo und wer sind denn die wirklich grossen Stromverbraucher? Das ist kaum meine Glühbirne, mein Laptop und mein Handylader…. Wissen wir denn, wer die eigentlichen (gross-)Verbraucher sind? Und wie wäre es, erstmal diese Verbrauchszweige genauer unter die Lupe zu nehmen?
Ich meine: Bevor wir weitere unberührte alpine Gebiete dem ungebremsten Wirtschaftswachstum zur Verfügung stellen, müssen diese Fragen mit einem umfassenden, ganzheitlichen Blickwinkel geklärt werden.

Da bin ich derselben Meinung, hier wird undifferenziert und ohne vertieften Analysen, wie z.B. zu deinen oben aufgeführten Fragen eingegangen…
danke dir, christian, für deine unterstützung!